Skip to content
Veröffentlichungen von Sachverständigen Thomas Wilder im Fachmagazin NATURSTEIN 09/2020

Treppe nicht trittsicher

Tatort Baustelle: Eine mit BIANCO SARDO belegte Treppenanlage im Außenbereich erwies sich als nicht vorschriftsgemäß. Die Beläge waren teilweise zu dünn, das Gefälle war völlig unzureichend und von Trittsicherheit konnte keine Rede sein.

Dem Bauträger zufolge war die Lage ernst. Anlass für diese Aussage war eine Natursteintreppe in einem bereits bezogenen Privathaus. Die gewählte Oberfläche sei nicht ausreichend trittsicher, so der Bauträger. Dies durfte ich 2019 als Gutachter überprüfen. Beim Ortstermin stellte ich Folgendes fest: Die Treppe steht nicht eingehaust als Verbindungstreppe zwischen zwei Häusern und führt von der Tiefgarage ins erste Obergeschoss. Sie ist baurechtlich notwendig, dient sie doch als einziger Zugang für mehr als zwei (nämlich sechs) Wohnungen und zugleich als Fluchtweg. Die entsprechende Landesbauordnung schreibt die Ausführung nach den anerkannten Regeln der Baukunst (Technik) vor. In den technischen Anforderungen des Bundeslands ist die DIN 18065 Gebäudetreppen baurechtlich eingeführt. Damit bezieht sich die Landesbauordnung mit – telbar auf eben diese Norm. Die Grenzmaße und die Toleranzen sind darin erschöpfend und eindeutig fest gelegt.

Stufen- & Podestbeläge zu dünn

Der Treppenbelag besteht aus dem Granit BIANCO SARDO. Daher gilt auch die DIN 18332 Naturwerksteinarbeiten und die Merkblätter der zuständigen Verbände. Die Tritt stufen sind mit 3 cm dicken Platten belegt, die Setzstufen und die Podest flächen mit 2 cm dickem Material. Die Oberflächen sind durch gehend feingeschliffen. Die Materialdicke ist der erste Kritikpunkt. Die DIN 18332 fordert für die übliche Leistung im Außenbereich eine Materialnenndicke von mindestens 30 mm. Das BIV- Merkblatt 1.06 Außentreppen aus Naturwerkstein nennt die gleichen Werte. Die Materialdicke ist im vorliegenden Fall nicht sicherheitsrelevant, beeinflusst aber die dauerhafte Standsicherheit der Konstruktion.

Nicht trittsicher

Sicherheitsrelevant ist jedoch die fein geschliffene Oberfläche der Trittstufen und Podestplatten. Zwar ist die Tritt – sicherheit bei Privatbesitz nicht eindeutig geregelt, aber (!): Die Treppen anlage ist frei zugänglich. Paketzusteller, Postboten und Kaminkehrer können und müssen sie jederzeit betreten. Sollte sich dann ein Rutsch- oder Sturzunfall ereignen, treten die Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften in Kraft. Darin ist die Einordnung der Bödenbeläge in Bewertungsgruppen seit Oktober 1993 erstmalig geregelt. Eine Außentreppe erfordert die Rutschhemmungsklasse R11 oder R10/V4 (V4 = Verdrängung von 4 cm³/dm²). Eine fein geschliffene Oberfläche erreicht diese Werte nicht (siehe BIV-Merkblatt 1.11).

Gefällegebung mangelhaft

Da die Treppe frei bewittert ist, ist ein kontrollierter Wasserablauf auf der Oberfläche planerisch notwendig. Nur so können die Bildung von Pfützen und bei Frost Eisflächen vermieden werden. Die Überprüfung der einzelnen Gefälle ergab bei nur wenigen der insgesamt 51 Stufen ein nach vorne abfallendes Gefälle von 0.8%. Die Mehrzahl der Stufen wies jedoch ein Gefälle von nur 0,2 bis 0,4% auf. Einzelne Stufen hatten gar kein oder ein gegenläufiges Gefälle. Dabei wären bei der fälschlich gewählten Oberflächenbearbeitung mindestens 1,5% bis 3% Gefälle erforderlich und rechtens gewesen. Diese Forderung erreicht keine einzige Stufe, was automatisch stehendes Wasser und bei Frost die Bildung von Eisplatten bedingt. Obendrein wurden die Steigungshöhen nicht gleichmäßig ausgeführt. Messungen ergaben Differenzen zwischen den Antrittstufen und den folgenden zweiten Stufen bis zu 30 mm! Grenzwert für Gebäude im Allgemeinen sind +/– 5mm. Auch die Steigungshöhen innerhalb der jeweils durch zwei Podeste untergliederten Geschosstreppen differieren bis zu 20 mm. Gemäß DIN 18065 dürfen Steigung und Auftritt einzelner Geschosstreppen voneinander abweichen; innerhalb einer Geschosstreppe müssen sie jedoch gleich sein.

Fazit: Die beschriebene Treppen anlage entspricht nicht der allgemein anerkann – ten Regel der Technik. Ganz im Gegen – teil: Sie stellt eine Unfallgefahr dar. In Deutschlandund kommen jedes Jahr 4.000 Personen aufgrund von Treppen – unfällen zu Tode. Das sind nahezu 20% mehr Tote als bei Verkehrsunfällen (Internetrecherche 5/2020). Dem Auftraggeber empfahl ich als Sofortmaßnahme das Anbringen von Antirutschstreifen und den umgehenden Rückbau der Treppenanlage. Ausbesserungen waren nicht möglich.