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Für seinen irischen Schwiegervater fertigte der Ingolstädter Steinmetzmeister Thomas Wilder einen Grabstein, der jetzt im südlichen Dublin steht.

Es war nicht mein erster Aufenthalt in Irland, aber mein wichtigster, denn bei der Rückgabe meines Leihwagens am »Dublin Airport« lernte ich vor 18 Jahren meine Frau kennen.
Sie hatte vorher schon einige Jahre in Deutschland gelebt, war aber wegen einer Erkrankung ihres Vaters in die Heimat zurückgekehrt und arbeitete nun am Flughafen. Wir kamen ins Gespräch – und tausende Flugmeilen und E-Mails später vollzogen wir quasi den »Re-import« und leben seither in Ingolstadt. Was gerne bei der Partnerwahl vergessen wird: Man bekommt auch neue Eltern dazu. Hier kann ich mich nicht beschweren. Es war immer eine Freude, wenn wir uns alle trafen. Aufgrund der Entfernung geschah das nicht zu oft, und ein seltener Gast ist ja immer gern gesehen. Meine Schwiegermutter – eine Mischung aus Miss Marple und Queen Mum (auch wenn das politisch völlig inkorrekt ist) – erfreut sich trotz ihres reifen Alters bester Gesundheit. Mein Schwiegervater – ein sturer, aber liebenswerter Kerl mit gutem irischen Humor – ist leider vor vier Jahren verstorben. Nun lag es nahe, dass ich mich als Steinmetz um den Grabstein kümmern sollte. Meine Idee, einen handwerklich gestalteten JURA GELB auf einen irischen Friedhof zu bringen, war schnell verworfen. Ein polierter LABRADOR BLUE PEARL sollte es werden … Das Familiengrab befindet sich im neuen Teil des Stadtfriedhofs Mount Gerome im südlichen Dublin. Die Gräber dieser Sektion wirken eher verwahrlost, eines eng neben dem anderen, fast alle ähneln sich, ganz anders als im faszinierenden alten Teil, wo es Bildhauerarbeiten vom Feinsten und mächtige Anlagen gibt. Dennoch wirkt der gesamte Friedhof fast vergessen. Einzelne Gräber sind sehr gepflegt, wie man das von heimischen Plätzen kennt. Aber meist ist der Anblick traurig. Bald sollte ich den Grund erfahren.

Nachdem die »Chefin« das Material bestimmt hatte, fehlten noch die zweit wichtigsten Informationen, nämlich die Abmessungen der Grabanlage und das Genehmigungsverfahren. »Let’s go to the undertaker«, entschied Mom und ich kann mir noch heute ein Lächeln nicht verkneifen, denn ich kannte dieses Wort bislang nur aus schlechten Western. Mitten auf dem Friedhof folgten wir einem Schild, auf dem »Office« stand. Wie schon oft in Irland erlebt, löste das bloße Öffnen der Tür einen Zeitsprung aus. Das Büro des Friedhofvorstehers und er selbst waren gefühlte 100 Jahre alt – gepflegt, aber nicht von dieser Zeit. Der ganz in Schwarz gekleidete Herr begrüßte uns freundlich, und wir taten unser Anliegen kund. Ich stammelte etwas von »measurements«, »contract«, »master« und »stonemason«, bis meine Frau mich rettete und das Wort übernahm. Der Stein durfte 78,03 Inches (198,2 cm) in der Länge und 30 Inches (76,2 cm) in der Breite messen. Die schon zuvor von Schwiegermutter per Handzeichen fixierte Höhe war auch in Ordnung. Ja, auch die Steinauswahl sei
ok. Nein, eine Grabplatte könne erst montiert werden, wenn definitiv der letzte Angehörige in diesem Grab bestattet sei.
Und Ja, ich könne den Stein auch selbst aufstellen. Das sei überhaupt kein Problem. Ich müsse nur, für den Fall, dass ich etwas beschädigen würde, eine Haftpflichtversicherung über 15 Mio. € nachweisen.
Nun wurde mein Sprachzentrum doch wieder aktiv, und ich fragte nach dem Grund für diese enorme Versicherungssumme. Ich versuchte, nicht zu sehr nach deutschem Oberlehrer zu klingen, und erklärte ihm unser System der jährlichen Standsicherheitskontrolle und der Pflicht, die lockeren Steine zu befestigen,
und überhaupt, fuhr ich fort, hätte ich noch nie so einen lebensgefährlichen Friedhof gesehen wie den seinen, und was es denn bloß damit auf sich habe. Recht unbeeindruckt, aber sehr nett erklärte er mir dann, dass im Gegensatz zu Deutschland die Gräber in Irland lebenslang erworben werden. Es sei auch bei Schadensfeststellung sinnlos, jemanden anzuschreiben, da der dann eventuell nicht mehr im Land sei oder auf einem anderen Friedhof liege. Nun hatte ich auch den Grund für die vielen ungepflegten Gräber.

Sorry, nicht genug!

Es wird also generell davon ausgegangen, dass die Grabsteine nicht stand – sicher sind. Kippt bei Steinmetzarbeiten  ein Grabstein am Nachbargrab um, muss der jeweilige Steinmetz für den Schaden aufkommen. Die 1,5 Mio. € meiner Versicherung ent lockten ihm nur ein nettes »Sorry, not enough!« Zugegeben, so ganz traurig war ich darüber nicht. Die zweitägigen Fahrten mit dem Lieferwagen samt den anhängigen Kosten zu früheren Baustellen in Marbella und auf Mallorca waren mir noch lebhaft in Erinnerung. Nach Einholung der Grabsteinpreise vor Ort kristallisierte sich schnell eine Lösung heraus. Den Stein in Deutschland zu fertigen, mit einer Spedition zu versenden und vor Ort aufstellen zu lassen, war mit großem Abstand nicht nur die günstigste, sondern auch die praktischste Lösung. Der Steinmetz am Platz erklärte sich zur Kooperation bereit.

Harry, mein Schwiegervater, hatte schon zu Lebzeiten nicht die Kirchgänge seiner Frau geteilt. So war es nicht leicht, bei der Gestaltung beiden gerecht zu werden. Mit der im offenen Raum endenden Treppe liege ich aber, glaube ich, nicht so schlecht. Zumindest lobte mich die Verwandtschaft. Es gab viele »Brownie Points«, wie es dort so heißt.

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Per E-Mail sandte ich den Entwurf nach Irland, via Mom gelangte er zum Undertaker. Meine großzügigen Änderung der Maße in unser metrisches System trafen bei ihm nicht auf Zuspruch. Während ich mir schon die Rückfragen des Großhändlers bei der Materialbestellung ausmalte, zeichnete ich die Eingabezeichnung um und bemaßte sie in Inches. Sie wurde genehmigt! Ach ja, die Inschrift auf dem Stein wurde in Irisch geschrieben. Das erforderte erhöhte Konzentration, da es im Irischen eigene Buchstaben gibt. Vier Wochen später war die Holzkiste gepackt. Viel Styropor zwischen die einzelnen Teile, einen Dübel dazu und eine Kartusche Natursteinsilikon für die Fugen. Ich hatte so eine Ahnung, dass in Irland keiner die Stoßfugen mit Silikon verfugt und fertigte noch liebevoll eine Zeichnung als Gebrauchsanweisung an… die Fugen sind mit Zement verfugt.

Aber der Stein steht nun seit wenigen Jahren, er gefällt und wackelt nicht. Bereist man ein Land im Urlaub, so behält es hinter seinem Zauber viele Geheimnisse im Verborgenen. Fordert man es heraus, verfliegt ein Teil des Zaubers mit jedem Geheimnis, das sich offenbart und ein anderer Zauber entsteht.

Harry! Es war mir eine Ehre.
Thomas Wilder