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Reklamationen managen - stein magazin für Sachverständige

reklamationen managen

Nicht hinter jeder Reklamation stehen solche massiven Schadensbilder wie auf dieser Terrasse. Trotzdem sollten alle Reklamationen ernst genommen werden. Das Foto zeigt einen Frostschaden durch fehlendes Gefälle

Seit 25 Jahren untersuchen die Verbraucherschützer des Bauherren Schutzbundes (BSB) die Baumängel und Schadenssummen von Bauvorhaben. „Viele Mängel werden durch eine Bauausführung verursacht, die nicht den anerkannten Regeln der Technik entspricht oder vom Vertrag abweicht“, lautet das aktuelle Fazit von BSB-Geschäftsführer Florian Becker. Ein Klassiker: Feuchtschäden. Aber auch Planungsfehler, Fehler in der Koordination oder in der Bauüberwachung lösen Schäden aus, die zum Teil erhebliche Kosten nach sich ziehen. Nach Angaben des BSB hat die Hälfte aller privat Bauenden mit Baumängeln zu kämpfen. Hinzu kommen Vertragsabweichungen (bei einem Drittel), verspätete Fertigstellung (bei fast einem Viertel) und Probleme bei der Abnahme. Wohl den Kunden, für die es reibungslos läuft, möchte man angesichts dieser Zahlen fast meinen.

JEDE REKLAMATION IST FÜR KUNDEN EINE ENTTÄUSCHUNG

Aus Kundensicht ist jede Reklamation – selbst wenn es sich nur um eine Kleinigkeit handelt – erst mal eine Enttäuschung. Das betont Service-Spezialist Ralph Lange (siehe Interview ab Seite 43). Entsprechend sensibel sollten Unternehmen mit Reklamationen umgehen. Schließlich wurde (ob nun zu Recht oder Unrecht) die Kundenerwartung nicht erfüllt. Ralph Lange: „Hinter einer Reklamation können rein emotional ganz verschiedene Gründe liegen: Ärger, Wut, die Sorge übervorteilt worden zu sein, oder einfach nur Unverständnis.“ Nicht jede Reklamation muss jedoch gleich zum Elefanten werden, genauso wenig wie jede Kundennachfrage hochemotional ist. „Das wird oft verwechselt“, mahnt Lange zur Umsicht und rät zunächst, den Grad der Erregung und die Möglichkeit einer unkomplizierten Klärung zu prüfen. Eine rein sachliche Reaktion sei bei großer Aufregung erst einmal nicht sinnvoll. Besser ist: zunächst Verständnis zeigen und die Kunden in ihrer Situation wahrnehmen.

 

Statistik Bauschaden 2021

STEINMETZ ALS VERSUCHSKANINCHEN

Diese Phase haben die Kunden, mit denen Thomas Wilder, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für das Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk, zu tun hat, längst hinter sich. Thomas Wilder nimmt aber zunächst einmal die Betriebe in Schutz: „Für das Gewerk wird es nicht einfacher. Immer neue Produkte drängen immer schneller auf den Markt und werden intensiv beworben. Der Steinmetz dient in der Werkstatt und auf der Baustelle da auch schon mal als Versuchskaninchen.“ Als Sachverständiger sieht er die Dinge natürlich anders. „Wir werden ja meist dann gerufen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Dann gelten die Regeln der Technik, die Normen, die Merkblätter, die allgemein über Jahre in der Praxis anerkannte Verfahrensweise.“ Und es gelte: Wer schreibt, der bleibt. „Ich kann den Kollegen und Kolleginnen nur empfehlen, sich abzusichern. Vielleicht auch Kunden und Handel ins Boot zu holen“, rät Wilder. Aber er weiß auch: In der Praxis kann man sich nicht gegen alle Eventualitäten absichern.
Dazu müssten Kunden „Ordner voller Unterlagen“ unterschreiben. Es helfe aber, wenn man seinen Kunden erklären könne, wann Ansprüche unrealistisch sind.

PFLICHT FÜR ALLE: LAUFEND FORTBILDEN

Dazu müssen Betriebe die aktuellen, anerkannten Regeln der Technik kennen, sich informieren und weiterbilden. Hierfür sind die Merkblätter des Bundesinnungsverbandes (die der BIV auch Nichtmitgliedern kostenfrei zur Verfügung stellt) genauso Pflicht wie regelmäßige Seminare und Fortbildungen. Schließlich wird nicht nur die Anzahl der verfügbaren Natursteine aus den Steinbrüchen dieser Welt immer größer, auch die Mörtel- und Fugensysteme, Spachtel- und Ausgleichsmassen nehmen zu, deren Einsatz beherrscht werden will. Hinzu kommt die gewerkübergreifende Verzahnung, die für die schadensfreie Ausführung komplexer Bauvorhaben ganz entscheidend ist. Thomas Wilder engagiert sich deshalb im gewerkübergreifenden Sachverständigenkreis euroFEN, einem Zusammenschluss der Gewerke Fliesen, Estrich und Naturstein. Fachlich gesehen, profitieren davon alle. Wilder: „Die Fliesenleger haben technisch gesehen auf dem Bau die Nase etwas vor den Steinmetzen. Dafür sind die Steinmetze in ihrem Berufsbild breiter aufgestellt und kennen selbstverständlich den Naturstein besser. Zum Estrich fehlt beiden das Detailwissen. Das ändert sich aber mit den euroFEN-Seminaren“, beschreibt der Sachverständige die Ziele des Vereins

Beispiel Bauschaden: Foto: Thomas Wilder

SCHNITTSTELLEN BESSER UND PROFESSIONELL KOORDINIEREN

Dass dieser Austausch bitter nötig ist, wissen Sachverständige nur zu gut: „Leider wird an der Planung und der Abstimmung der Schnittstellen viel zu oft gespart. Dann weiß der ausführende Sanitätsbetrieb häufig nicht, was wichtig fürs Folgegewerk ist, oder die Estrichfugen sitzen nicht dort, wo sie eigentlich sein sollten. Oft gilt das Prinzip: Das löst der Bodenleger“, mahnt Wilder. Falscher Ehrgeiz und Ausbesserungsfleiß sind aber kontraproduktiv. Schließlich muss das Folgegewerk prüfen, ob die Vorleistung überhaupt tauglich ist, um das eigene Gewerk schadensfrei ausführen zu können.

KONSTRUKTIONEN BEHERRSCHEN

Die kurzen Bauzeiten, durch die sich auf vielen Baustellen die Handwerker gegenseitig auf den Füßen herumstehen, tun ihr Übriges. Nicht immer werden die Trockenzeiten eingehalten. So sind Schäden fast vorprogrammiert, zumal die Konstruktionen komplizierter werden, der Ausbau anspruchsvoller. Bodenaufbauten im Verbund sind die Ausnahme, Trennlagen wie Dämmungen oder auch Heizsysteme erhöhen die potenziellen Fehlerquellen weiter. Megaformate lassen die Restfeuchte im Estrich kaum noch diffundieren. Weniger Fugenanteil macht die Beläge starrer. „Das Konstrukt ist insgesamt sensibler und hat mehr Fehlerquellen. Dehnungen und Spannungen müssen berücksichtigt werden“, fasst Thomas Wilder die Herausforderungen der von Kunden heute erwarteten perfekten, durchgängigen Optik zusammen.

BEIM AUSHELFEN AUFPASSEN

Wer dann seine Verfahrensweisen nicht permanent anpasst und mit den Innovationen fachlich mithält, hat schlechte Karten. Helfen, schnell hinlangen und Verantwortung übernehmen ist eine Handwerktugend, die auf Baustellen geschätzt wird, im Schadensfall aber teuer werden kann. „Wer die Folgen seines Handelns nicht einschätzen kann, fährt ein hohes Risiko“, warnt Thomas Wilder und ermuntert eindringlich zur Fortbildung: „Natürlich kostet ein Seminar Zeit und Geld, aber ein verlorener Prozess vor Gericht ist deutlich teurer, vom Imageschaden mal ganz abgesehen.“ Die Regelwerke ändern sich ständig, neue Normen kommen hinzu, und die immer neuen Industrieprodukte gilt es mit kritischem Sachverstand zu hinterfragen. Bei dem Entwicklungstempo kommen nicht alle Betriebe hinterher. „Selbstverständlich gibt es Firmen, die sich den Herausforderungen stellen. Die Steinmetze und Steinmetzinnen, die man auf den Seminaren trifft, sind auch meist sehr gut informiert. Ich behaupte aber, dass viele Betriebe nicht ausreichend fortgebildet sind“, lautet die Einschätzung des Sachverständigen Wilder. Den Informationsmangel in der Breite macht er an den auftretenden Schadensfällen fest und nennt als Beispiel die neuen Normen zur Abdichtung von Dächern (DIN 18531) und Innenräumen (DIN 18534), deren Inhalt längst noch nicht bei allen Betrieben angekommen sei.

 

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